Wir drehen am Rad
Ein Gemeinschaftsprojekt der Hauptschulpaten, Schüler, Auszubildenden und Ditzinger Handwerker
Die Bürgerstiftung Ditzingen wurde 2007 von Ditzinger Bürgern mit dem Ziel gegründet, das Gemeinwesen der Stadt zu fördern. Sie möchte etwas bewegen, antreiben. Dieses drückt die Bürgerstiftung Ditzingen auch durch ihr Logo aus: ein Mühlrad in Bewegung.
Zwischen Ditzingen und den Mühlen besteht ein enger Bezug: Gelegen entlang der Glems und der Bäche sind sie traditioneller Bestandteil der Kulturlandschaft des Strohgäus.
Die „Paten für Hauptschüler“, Vorläufer der "Jobpaten" und das erste Projekt der Bürgerstiftung Ditzingen, begleiteten seit 2007 die Jugendlichen von der achten Klasse bis in ihre Ausbildung hinein. Die Schüler durchliefen mit Hilfe Ihres Paten alle Phasen der Berufsorientierung und Bewerbung.
Die Bürgerstiftung Ditzingen und die Hauptschulpaten der Theodor-Heuglin-Schule in Ditzingen-Hirschlanden hatten sich dann ein ganz neues Projekt vorgenommen:
Gemeinsam mit den Hauptschülern der „ersten Generation“, die im Jahr 2011 ihre Ausbildung beendeten, Schulabgängern diesen jahres, den Schülern, deren Patenschaften im folgenden Frühjahr begannen, Lehrern sowie Ditzinger Handwerkern wollten sie ein altes Mühlendenkmal aufarbeiten und an einem geeigneten Platz in Ditzingen aufstellen und so den engen Bezug der Stadt zu den Mühlen zu dokumentieren.
Das Mühlrad der Tonmühle wurde im Jahre 1903 erbaut. Es ist 4 Meter hoch und 1, 68 Meter breit und arbeitete oberschlächtig. Bei einem Gefälle von 4 m erbrachte das Rad eine Leistung von 7,2 PS bei 135 l/s Wasserzufluss. Es trieb die Mühle mit drei Mahlgängen und einem Gerbgang sowie eine Kernenputzerei und Einrichtungen zum Betrieb einer Dreschmaschine, einer Futterschneidemaschine, einer Brennholzsäge und einer Obstmahlmühle an. Das Wasserrad wurde 1983 stillgelegt. Es fand eine Zeitlang eine Bleibe in der Glemsaue, bis Regen, Wind und Sonne die alten Holzteile so angegriffen hatten, dass die Standfestigkeit des Mühlrades stark beeinträchtigt war, so dass es abgebaut werden musste. Seither lagern die Teile als Artefakte beim städtischen Betriebshof.
Bei dem Gemeinschaftsprojekt "Wir drehen am Rad" standen Schüler, Auszubildende, Paten, Lehrer und Handwerker vor einer großen Aufgabe, die sie zusammen meistern wollten. Problemlösungen wurden gemeinsam erarbeitet, hierfür ist Rücksichtnahme, gegenseitige Achtung und Respekt erforderlich. Das Selbstwertgefühl der Hauptschüler wurde durch die gemeinsame Planung und Arbeit gesteigert, das Vorbild der ehemaligen Schüler, die nun im Beruf standen spornte an und zeigte den Jugendlichen eine erfolgversprechende Zukunft.
Die zwangsläufige Auseinandersetzung mit der Geschichte und der Tradition unserer Stadt führte zu einem positiven und aufmerksameren Erleben des eigenen Lebensraumes der Jugendlichen, die, im besonderen Fall von Migrantenkindern, häufig in einem Gefühl der Heimatlosigkeit aufwuchsen.
Die Bürgerstiftung Ditzingen wollte mit diesem Projekt unter anderem zeigen, dass es möglich ist, trotz Alters-, Kultur-, Sprach- und Bildungsunterschieden erfolgreich zusammen zu arbeiten.
Fast alle Arbeiten an diesem Projekt wurden ehrenamtlich geleistet. Im Laufe der Arbeiten konnte auf unserer Homepage der Fortschritt beobachtet werden (siehe nachfolgende Abschnitte).
Restaurierung Mühlenrad
1) Die Demontage
Eindrücke von der Zerlegung des Mühlradtorsos am 06.06.2011
(Dokumentationsteam Georg Müller, Melissa Maier, Gentijana Podujeva)
Es war eindrucksvoll. Dies betrifft speziell das Engagement der Jugendlichen, die sich als Mitglieder des Bauteams am 06.06.2011 gegen Abend
auf dem Bauhofgelände in Heimerdingen an die Zerlegung des alten Mühlrades von der Tonmühle machten. Die Jugendlichen sind Schüler der oberen Klassen der Theodor-Heuglin-Schule. Ferner sind es ehemalige Schüler, die inzwischen handwerkliche Berufe erlernen (Zimmermann, Landmaschinenmechaniker, um nur zwei zu benennen) und ein gesundes Selbstbewusstsein in Verbindung mit ihrem Können ausstrahlen. Fast alle diese Jugendlichen werden oder wurden in den Klassen 8 und 9 von Jobpaten begleitet. Diese Jobpaten sind es auch, die das Projekt „Wir drehen am Rad. Hauptschüler, Handwerker, Lehrer und Hauptschuljobpaten restaurieren ein historisches Mühlrad als Gemeinschaftsprojekt“ unter der Bürgerstiftung Ditzingen in 2011 aufgegriffen haben.
Vermutlich haben die Erbauer des 1903 in Betrieb gestellten Mühlrades der Tonmühle nicht im Traum daran gedacht, dass ihr Mühlrad über 100 Jahre später Gegenstand von Jugendarbeit werden würde. Jugendarbeit im besten Sinne des Wortes: Teamarbeit am Objekt, gemeinsamer körperlicher Einsatz bei der teils schweißtreibenden Arbeit, Unterstützung durch unsere Projektgruppe „Versorgung“ mit dem Bereitstellen von Fleischkäs-Weckle und Getränken zur Pause. Laufende Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten: Schülern, Schülerinnen, ehemaligen Schülern und weiteren Unterstützern je nach deren individuellen Möglichkeiten, wobei die Tätigkeit der Jugendlichen eindeutig im Vordergrund stand. Und nicht zu vergessen: Die Beschäftigung mit diesem Mühlrad sensibilisiert sicherlich auch die Achtung vor der Kunst ihrer Erbauer. Denn dieses Mühlrad spiegelt durchdachte Industrie- und Handwerksarbeit wieder. Bereits die bloße Größe der Achse sowie ihre Bauform ist Respekt einflößend. Und der Abrieb an der Achse im Lagerbereich macht deutlich, dass hier über viele Jahre hindurch starke Kräfte bei ungezählten Umdrehungen am Werke waren.
Es war einfach toll, mit anzusehen, wie primär die Jugendlichen dieses historische Mühlrad in Gemeinschaftsarbeit zerlegt haben mit dem Ziel, es wieder an hervorgehobener Stelle aufgestellt zu sehen. Allerdings ist dafür noch viel zu tun. Die Holzteile sind zu ersetzen und die Metallteile herzurichten, das Ganze wieder zusammenzufügen. Dies erfordert nicht nur weiteren Arbeitseinsatz des Bauteams sowie des Versorgungsteams und der sonstigen Helfer, sondern es kostet auch Geld u.a. für Maschinenstunden und für Material. So sind beispielsweise Hunderte von Schrauben zu ersetzen, die einzeln nicht besonders ins Auge springen mögen, doch besorgt und finanziert sein wollen.
Wenn es Sie als Leser dieses Kurzberichtes einmal freuen könnte, beim Anblick des restaurierten Mühlrades für sich sagen zu können „Da habe ich etwas mit dazu beigetragen!“ und uns folglich mit einer Spende unterstützen wollen, dann würden wir uns freuen. 2. Die Arbeiten gehen weiter
Reinigung der Einzelteile am 04.07.2011
(Dokumentationsteam Gentijana Podujeva, Melissa Meier, Ann-Katrin Schuhmacher, Ruth Romanowski-Steger)
Wir begannen um 18 Uhr mit den Arbeiten. Als erstes reinigten Alexander Fetzer und Daniel Schuhmacher mit Hochdruckreinigern die alten Schaufelbleche. Zum Glück schien die Sonne und es war warm. Da machte es nichts aus, dass man nass wurde. Markus Kock und Lukas Piesker flexten die Schraubenreste von den Blechen. Viele Trennscheiben gingen dabei kaputt. Jessica Zugec half, die fertigen Bleche wegzutragen.
Herr Möhler, Herr Domke, Jonas Rommel und Armin Gothoian bereiteten den Platz vor, auf dem das Mühlrad weiterbearbeitet werden soll. Hier wird ein Gerüst aufgestellt und im Boden befestigt, auf den die Radnabe aufgelegt wird. So kann sie gedreht werden, wenn der Holzrahmen befestigt wird.
Zusammen mit Herrn Birenbaum wurde besprochen, welches Holz für unser Mühlrad gekauft werden soll. Wir bekamen auch Besuch von Redakteurinnen von zwei Zeitungen, die sich eine Weile mit uns unterhielten und auch Fotos machten.
Dann gab es eine Pause. Das Verpflegungsteam hatte schon Stühle aufgebaut und einen Biertisch gedeckt. Es gab leckere Fleischkäsebrötchen und selbstgebackene Muffins und genug Sprudel und Apfelsaft. Nach der Pause wurde noch zu Ende gereinigt, geflext, Löcher für die Befestigungsschrauben in den Boden gebohrt und die Schaufelbleche zurecht geklopft. Dann wurde aufgeräumt und gefegt.
Es hat wieder Spaß gemacht, dabei zu sein!
3. Die Bearbeitung der Mühlradschaufeln
am 18.07.2011
Es war schweißtreibend, zumindest für diese 3 Jungs vom Bauteam: Mark, Markus und Lukas, denen zwei junge Damen und ein paar ältere Herren assistierten. Es ging unter anderem darum, die Mühlradschaufelbleche gerade zu klopfen. Dazu legten zwei Männer die Schaufeln gezielt auf den Amboss und der Dritte versuchte mit kräftigen Schlägen die Längsseiten der Schaufeln wieder in Linie zu bringen, hatten die doch in ihrer Form durch den Abbau am alten Standplatz des Mühlrades und der Lagerung etwas gelitten. Anschließend wurden die Schaufeln sortiert und auf unterschiedlichen Paletten gelagert. Einige der Schaufeln sind stirnseitig derart verrostet, dass sie vor der Montage erst noch mit Verstärkungsblechen ausgestattet werden müssen. Die übrigen und noch gut montierbaren Schaufeln warten bereits jetzt auf getrennten Paletten darauf, auf der noch fehlenden Holzstruktur des Mühlrades montiert zu werden.
Dass beachtliche Kräfte am Werk waren, zeigte sich nicht nur an den Schweißtropfen bei den Akteuren, sondern auch daran, dass ein Hammerstiel zu Bruch ging. Doch der Ersatzhammer war bald herbeigeschafft und weiter ging es.
Neben der Blechbearbeitung wurde auch noch die Nabe vom restlichen Speichenholz befreit. Dieses Speichenholz war mittels dicker Stahlplatten und entsprechenden Halteschrauben in gegossenen Aussparungen in der Nabe fixiert. Da die Muttern auf den Halteschrauben beim besten Willen nicht mehr lösbar waren, half nur die Flex, um sie zu durchtrennen und in der Folge das Speichenholz aus den Aussparungen zu entfernen. Doch was heißt hier Holz. Nach fast 100 Jahren in eingezwängtem und fast immer nassem Zustand war es eher eine beinahe schwarze und über weite Strecken bröselige Masse. Und diese Masse war immerhin vor mehr als 100 Jahren einmal Holz einer starken Eiche, die ihrerseits vermutlich an die hundert Jahresringe angesammelt hatte.
Der Arbeitseinsatz endete mit einem gemeinsamen Essen in trauter Runde.
4. Das Holz ist da - es kann weiter gehen!
Die Rahmenteile werden gesägt
(von Ruth Romanowski-Steger)
Markus Kock ist einer der ersten Schüler der Hauptschulpaten an der Theodor-Heuglin-Schule und hat seine Ausbildung bei der Zimmerei Birenbaum in Schöckingen in diesem Jahr beendet.
Am vergangen Samstag, den 12.11.2011 hat er sein sehr verdientes freies Wochenende dazu genutzt, die Holzteile für den Rahmen des alten, zu restaurierenden Mühlrades der Tonmühle auszusägen. Das Holz für den neuen Rahmen kommt aus heimischen Wäldern. Nach mehreren Wochen in der Trockenkammer des Sägewerkes kann es nun bearbeitet werden.
Die Herstellung der Holzteile muss auf dem Gelände der Zimmerei stattfinden, die Montage aber geschieht auf dem Betriebshof in Heimerdingen.
5. Die Stützbalken werden montiert
Am 7. Januar 2012 traf sich die Arbeitsgruppe wieder einmal in Heimerdingen, diesmal, um die Stützbalken an der Welle des Rades anzubringen: Regen, Schnee und Kälte zum Trotz arbeitete die Gruppe Erwachsener und Jugendlicher vier Stunden lang an der Montage der Stützbalken.
6. Die Kreiselemente werden angebracht
Am Samstag, den 14. Januar 2012 war es endlich so weit: die Kreissegmente konnten angebracht werden. Die Projektgruppe "Mühlrad" war annähernd vollständig gekommen, um zu helfen. 15 Jugendliche und Erwachsene arbeiteten wieder mit viel Freude zusammen. Die Mädchen aus der Verpflegungsgruppe sorgten für ein kräftiges Vesper und heiße und kalte Getränke, während das Bauteam die schweren Kreissegmente an die Achsbalken montierten. Es waren sehr schwere und komplizierte Arbeiten, die hier erledigt werden mussten. Trotzdem geschah alles in großer Harmonie und mit viel Freude und Spaß. Schön, dass auch ein paar Besucher kamen, um bei den Arbeiten zuzusehen.
Das Ergebnis dieses Arbeitseinsatzes ist beachtenswert.
7. Die Schaufelbleche
So gut wie jedes Wochenende im Februar und März wird nun am Mühlrad gearbeitet: Die Schaufelbleche werden angebracht. Keine leichte Arbeit, die schweren, rostigen Schaufeln einzupassen. Das Bauteam arbeitet mittlerweile routiniert und harmonisch Hand-in-Hand, jeder weiß, was er zu tun hat. Es stellt sich schon die Frage: "Was machen wir, wenn unser Mühlrad fertig ist?"
8. Die Innenverkleidung
Samstag, den 31.3.2012 begannen die Jungen mit der Innenverkleidung des Rades, die aus Brettern besteht, die von innen hinter den Schaufelblechen angebracht werden. Diese, wie auch alle anderen Arbeiten, fordern absolut exaktes Arbeiten. Kein Problem für unser Bauteam! Es wurde gearbeitet, bis alle vorhandenen Bretter verbraucht waren. Sobald der Nachschub da ist, geht es weiter. Bis dahin kann eine kleine, wohlverdiente Pause eingelegt werden.
9. Es ist fertig!
Am Samstag, den 28. April 2012 wurden die letzten Bretter der Innenverkleidung in das Mühlrad eingepasst. Das Rad ist komplett restauriert und wartet nun darauf, der Stadt Ditzingen zur Aufstellung übergeben zu werden.